Wie sehr können Filmkritiken doch verzerren. Vielleicht auch diese hier, wer weiß. Viel wurde über den neuen Woody Allen-Film Vicky Cristina Barcelona geschrieben - und doch drehte sich alles um den Kuss zwischen Scarlett Johansson und Penelope Cruz. Die BILD-Zeitung machte, wenn auch sabbernd wohlwollend, daraus eine "Sommernachtssexkomödie". Reduziert auf einige wenige Momente, die zwar zur Geschichte gehören, wichtig sind für die Figuren und deren Gedanken, aber die nicht den Reiz des Films ausmachen.
Allen hat wunderbare Charaktere erschaffen. Da ist der Verlobte von Vicky, Doug (Chris Messina), ein sehr konservativer Erfolgsmensch, der in New York arbeitet, sich mit Vorgesetzten zum Golf trifft, Vicky ständig Babe nennt, der einen Plan für die gemeinsame Zukunft hat und der Cristinas Lebensstil nicht nachvollziehen kann. Und auch wenn das Publikum über seine Spießigkeit den Kopf schüttelt, sich in seiner Gegenwart langweilt und auch das Handeln und die Gedanken von Vicky verstehen kann, so ist er nicht unsympathisch. Er ist, wie es oft heißt, eine gute Partie, er bietet Sicherheit - und das macht es Vicky so schwer, sich vollends, auch nach der Hochzeit, auf ihn einzulassen, solange sie nicht weiß, ob sie bereit ist für dieses sichere, kontruierte Leben, in dem es nur noch wenige Überraschungen geben wird.
Auf der anderen Seite steht der katalanische Maler Juan Antonio (Javier Bardem), der seiner Ex-Frau Maria Elena (Penelope Cruz), seiner Muse, noch immer nachhängt, der durch eine wunderbar direkte Art Cristina sofort und Vicky später einnimmt. Der mal eben mit den beiden Amerikanerinnen nach Oviedo fliegen möchte, um sich eine Jesus-Figur anzusehen und abends mit beiden in der Kiste zu verschwinden. Dabei geht es ihm um viel mehr, als den Akt selbst. Es geht ihm um das Leben und das Lieben. Eine Mischung aus völlig unkitschiger Romantik und Inspiration. Und auch sein Vater ist eine charmante Figur, der sich weigert eine fremde Sprache zu lernen, um seine Poesie nicht zu verschmutzen, der seine Gedichte nicht veröffentlicht, um es der Menschheit heimzuzahlen, dass sie das Lieben verlernt hat.
Cristina (Scarlett Johansson) ist eine junge Künstlerin, die gerade einen 12-Minuten-Film über die Liebe gedreht hat, mit dem sie nicht zufrieden ist. Sie begleitet ihre Freundin Vicky nach Barcelona um rauszukommen, Inspiration zu finden, zu lieben. Sie wird die neue Muse von Juan Antonio, sie entdeckt, auch dank Maria Elena, ihr Talent zu fotografieren. Sie wird Teil einer Dreiecksbeziehung mit dem Künstler und seiner Ex-Frau, die nach einem Selbstmordversuch wieder bei ihm einzieht. Sie ist eine Suchende, die nicht weiß, was sie will, dafür aber was sie nicht will. Am Ende hat sie viele Erfahrungen gesammelt, steht gereifter dort, wo sie am Anfang des Filmes stand.
Das gilt auch für Vicky (Rebecca Hall), die eigentliche Hauptfigur des Filmes, die es nicht einmal auf die deutschen Kinoplakate geschafft hat. Sie wollte nur nach Barcelona, um Material für ihre Magisterarbeit über katalanische Kultur zu suchen, sie findet Juan Antonio, dessen direkte Art sie zunächst empört ablehnt, ihm dann aber doch erliegt. Sie ist plötzlich unsicher, ob sie die Ehe wirklich möchte, ob sie bereit ist, für das ruhige, langweilige Leben. Ihre Gastgeberin Judy, gut 30 Jahre älter als Vicky, wirkt wie eine Zukunftsvision, ihre Ehe ist nur noch ein Schein, auch wenn die Liebe nicht wirklich erloschen ist. Sie drängt Vicky fast schon dazu, sich auf den Maler einzulassen, damit sie nicht das gleiche Leben erwartet. Und plötzlich steht Vicky zwischen Juan Antonio und Maria Elena, ihre Hand blutet und sie scheint zu ahnen, dass die Sicherheit, die Doug bietet, nichts Schlechtes sein muss.
Selbst die kleinsten Nebenfiguren wissen in Vicky Cristina Barcelona zu begeistern, dazu kommen die Aufnahmen in dieser wunderbaren Stadt, ob in diesem heruntergekommenen Vergnügungspark auf dem Tibidabo, im Parc Güell oder in der Sagrada Familia, im Hintergrund läuft immer eine leichte spanische Musik, ein Erzähler begleitet den Zuschauer durch die Geschichte. Es fallen so viele schöne Sätze über die Liebe, das Leben, die Menschen, dass man sie sich gar nicht merken kann. Dieser Film zeigt soviel über die Vielseitigkeit, die sich immer um einen herum, vielleicht auch in einem selbst abspielt. Wer in ihm nur einen Kuss, nur ein bisschen Sex sieht, der hat Vicky Cristina Barcelona einfach nicht verstanden. Oder nicht, was es heißt zu leben.
Freitag, 5. Dezember 2008
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