Samstag, 31. Januar 2009

Ulysses

Heute ist er da, der große Tag. Der Tag der Radtour. Denn mein treues, altes Fahrrad tritt den Weg von Mainz in die alte und bald neue Heimat an. 100 Kilometer liegen vor ihm und mir. Und da ich grundsätzlich faul nicht komplett bescheuert bin und mit einer Erkältung, Kopfschmerzen und bei Minusgraden und leichtem Schneefall am Rhein entlang fahre, suchen mein Fahrrad und ich im Internet nach einer geeigneten Zugverbindung.

Dreißig Minuten für die Strecke Wohnung-Hauptbahnhof sollten eigentlich reichen. Nach einer Minute fahre ich jedoch schon wieder zurück. Platte Reifen. Gut, hätte ich auch natürlich vorher mal testen können, ob sie noch prall wirken, wenn ich auf dem Sattel sitze. Für eine Blitzdiät ist keine Zeit, also schnell etwas Luft nachpumpen. Meine Uhr zieht schon die Augenbrauen hoch und blickt mich tadelnd an. Noch zwanzig Minuten bis der Zug fährt. Machbar. Trotz der angeschlagenen Gesundheit, trotz immer noch halb platter Reifen.

Natürlich habe ich ihn wieder unterschätzt. Den Autor meines Lebens. Viele Menschen schieben ja sämtliche Dinge auf den armen Herrn Murphy, aber ich habe mir kürzlich angewöhnt meinen persönlichen Schreiberling verantwortlich zu machen, wenn wieder alles schief geht. Das Leben ist ein Buch, oder so. Mein persönlicher Autor hat jedenfalls einen Rot-Tick. Mein Fußballverein ist rot, mein Auto bordeaux und die Ampeln knallten mir heute im satten Rot der Abendsonne, des Kraft-Ketchups, der Erdbeer-Gummibärchen entgegen. Ein Engelschor dringt an mein Ohr: "You're never going home... la la la la laa ... You're not Ulysses!" Ich schalte den iPod aus und trete in die Pedalen.

Um 12:12 erreiche ich den Hauptbahnhof. Puh. Noch vier Minuten Zeit. Wo fährt der Zug noch gleich? Achja, Gleis 3 - in einer Minute! Super, das wird eng. Hoch die Treppe, runter die Treppe, Zug kommt pünktlich, mein Fahrrad und ich sind gerade noch rein gekommen und wünschen uns beide ein Sauerstoffzelt - ich für meine Lunge, es für die Reifen. Ab gehts über den Rhein, hallo Wiesbaden, hinein ins Reisezentrum, Anschlussticket kaufen. Mir bleiben neun Minuten. Im Eingangsbereich renne ich erstmal fast gegen eine Infotafel. Neues System, Nummer ziehen, blah. Willkommen bei der Stadtverwaltung Deutsche Bahn Wiesbaden. Auf Monitoren blinken die zuletzt aufgerufenen Nummern. 308 an Schalter 5, 309 an Schalter 2, 310 an Schalter 3. Na was hab ich denn? 311. Kann das sein? Vor mir stehen doch noch zwei Frauen. Haben sie etwa...?

Die Zeit verstreicht. Eine Bahnmitarbeiterin flirtet mit einem Kunden, ein anderer wird von einer älteren Dame mit Alkoholfahne zugetextet. Noch vier Minuten. "Nummer 311 - Schalter 3". Die beiden Damen gucken verdaddert. Während der Bahnmitarbeiter den Erklärbär spielt "...Nummer ziehen...aufgerufen..." grüble ich. Nett sein und Ladies first? Oder doch lieber den Zug bekommen? Die Damen nehmen mir die Entscheidung ab und verlassen schnaufend das Reisecenter. Ein Anschlussticket bitte. Und ab. Wieder einmal sind mein Fahrrad und ich noch nicht richtig im Zug, als er sich in Bewegung setzt. Alles gut gegangen. Ich glaube, mein Autor ist doch nicht so übel. Auch wenn er mir ruhig mal hätte verraten können, dass ich im Zug nicht kontrolliert werde. Aber dafür hat man ja Ideale - und Herr Mehdorn 6,90€ mehr für seine Rente. La la la la laaa... I'm Ulysses!

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